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DIE NATUR HAT IMMER RECHT | Brigitte Reutner-Doneus, 2024 - 10. KUNSTSALON

Riederer – Ruprecht – Tyagi

Antonia Riederer studierte Malerei und Grafik an der Linzer Kunstuniversität bei Eric Ess, Ursula Hübner und Dietmar Brehm. Die 1971 in Grieskirchen geborene Malerin befasste sich in ihrer künstlerischen Ausbildung zunächst mit Grafik. Auf dem ersten Blick fällt auf, dass ihren Gemälden die grafische, konstruktive Linie zugrunde liegt. Zunächst entsteht ein lineares Gerüst auf der Leinwand, das den malerischen Vollzug vordefiniert. Wenn die Komposition steht, werden leuchtend bunte Farbtöne in breiten Pinselstrichen auf die Leinwand gesetzt und die Leerräume innerhalb des Liniengerüsts werden teilweise ausgefächert. Der mit Komplementär- und Warm-Kalt- und Hell-Dunkel-Kontrasten arbeitende Kolorismus verzurrt die Komposition in der Bildfläche. Die weiß ausgelassenen Kompartimente schaffen eine schillernde Lumineszenz, die sich von Licht und Farbe nährt.
Riederers Sehdinge beschreiben keine spezifischen, individuellen oder einzigartigen Begebenheiten. Ihre Bildaussage ist allgemeiner formuliert. Narrative Bausteine wie z. B. Haus, Baum, Mensch, Tisch, Buch werden miteinander kombiniert und auf farblich-formale Ausgewogenheit befragt. Der sichtbare Bestand wird auf einfache Formen reduziert. Die Sehdinge werden im Bild einzeln nebeneinandergesetzt. In den dadurch bedingten, formalen
wie auch inhaltlichen Zäsuren liegt ein Rhythmus, der die Bildaussage maßgeblich prägt. Der ästhetische Reiz liegt genau in diesem Stakkato, in dieser versatzstückartigen Anmutung, deren verbindendes Element einzig der luzide Kolorismus ist.
Man könnte sagen, dass die einzelnen Formen begriffliche Analogien wie die Wörter in einem konkreten Gedicht aufgreifen. Mit kantigen oder gerundeten Linien wird an einem strukturbetonten, schnörkellosen Ausdruck gearbeitet. Diese Malerei stellt keine Raumdiskussion vor, sondern verspannt sich durch ihr spezielles Kolorit in der Bildebene.
Wo kein Raum, da kein Äquivalent von Zeit. Der kraftvolle, bunte Kolorismus trägt neben der gestalterischen Konstruktion dazu bei, die Kompositionen der Zeit zu entheben. Konstruktion in der Linearität sowie im übergangslosen Nebeneinander von Farbflächen.
Diese formale Prägnanz lässt mich an die Odalisken von Henri Matisse oder an figurale Darstellungen seiner Rosenkranzkapelle in Vence denken: Keine Individuen, sondern allgemeine Formulierungen. Der Mensch an sich ist gemeint, kein/keine Einzelne von uns.
Der kreative Fokus liegt auf kompositionellen Aspekten. Auch meine ich Affinitäten zu Werken der Avantgardemalerei zu erkennen: Oskar Schlemmer, Bram van de Velde, Werner Bergs Spätkubismus, oder Analogien zur konkreten Poesie von Ernst Jandl oder visuellen Poesie von Josef Bauer.

Doch es sind nicht nur die visuellen Abbreviaturen, die die Künstlerin interessieren. Sie erfordern überdies große Konzentration, da sie in einem raschen Vollzug ausgeführt werden.
Riederers Gemälde drücken eine Harmonie aus, der konkrete Form- und Farbstudien zugrunde liegen. In diesem transformativen Akt können gegenständliche Sehdinge mitunter auch abstrakt aufgefasst werden. In ihren Gemälden wird formale Stringenz mit leuchtendem Kolorismus zu einem ästhetisch sehr ansprechenden Ganzen vereint.

 

Marie Ruprecht studierte Experimentelle Visuelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz bei Herbert Lachmayr. In ihrer künstlerischen Arbeit berührt die 1975 in OÖ Geborene Künstlerin existentielle Themen, die um den Sinn des Lebens, um Leben und Tod kreisen.
Der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel schrieb in seinem Essay Der Sinn des Lebens: „Vielleicht hatten Sie schon einmal den Gedanken, daß in Wirklichkeit alles egal ist, da wir in hundert Jahren alle tot sein werden. Eigentlich eine komische Idee, denn es ist nicht klar, warum aus dem Umstand, daß wir in hundert Jahren alle tot sein werden, folgen soll, daß nichts von dem, was wir jetzt tun, wirklich von Bedeutung ist.“ Nagel setzt fort: „Selbst
wenn Sie ein großes literarisches Werk hervorbringen, das auch in tausend Jahren noch gelesen wird, irgendwann wird das Sonnensystem erkalten oder das Universum wird ausgehen oder zerplatzen, und jede Spur Ihrer Bemühungen wird verschwinden. Jedenfalls dürfen wir noch nicht einmal auf einen Bruchteil einer derartigen Unsterblichkeit hoffen.
Wenn etwas von dem, was wir tun, überhaupt einen Sinn haben soll, dann haben wir ihn in unserem eigenen Leben zu suchen.“
Marie Ruprecht findet in der Natur Synonyme zu Themen, die sie künstlerisch bewegen. Ein kleiner gemaserter Talgsteinkubus inspirierte sie zu der hier ausgestellten Serie lasierter, monochromer Gemälde.
Was wäre, wenn Erde und Himmel, Klein und Groß miteinander in Einklang stünden? Die Vorstellung der Übereinstimmung von Mikrokosmos und Makrokosmos leitet sich aus den mystischen und esoterischen Lehren ab, wonach es auch Entsprechungen zwischen den menschlichen Gliedmaßen und dem Universum gibt. Kleines widerspiegelt sich in Großem und umgekehrt. So können mit unter sogar ganze Landschaften in einem einzelnen Steinblock zu finden sein.
Unsere Beziehung zum Stein ist so alt, dass wir den Beginn der Menschheitsgeschichte Steinzeit genannt haben. Die frühesten Werkzeuge und Waffen waren oft aus perfekt geformtem Stein; diese Objekte waren Symbole der Macht, die den frühen Menschen Stärke und Effektivität verliehen. Über alle Zeitalter hinweg gehörte der Stein zum menschlichen Leben. Marie Ruprecht befragt ihren Stein in ästhetischer Hinsicht. Seine monochrom gehaltenen Strukturierungen setzt sie in entsprechende Farbwerte um. Weiss – Grau –
Beige – Schwarz: in dieser bewusst gewählten farblichen Zurückhaltung, mit dieser gesteuerten Monochromie rührt sie an existentiellen Themen. Tod und Leben sind – wenn man so will – Geschwister. Das Eine bedingt das Andere, denn alles unterliegt einem Zyklus.
Ruhe, Stille und eine beschauliche Abkehr vom Lärm der Welt vermeint man aus ihren Gemälden herauslesen zu können. Sie erlauben uns, uns gedanklich den Grenzlinienunserer Existenz zu nähern und vielleicht sogar unsere Abwesenheit auf diesem Planeten zu imaginieren. Im gleichen Atemzug künden sie aber auch von zyklischen Prozessen, wonach die Sonne jeden Morgen wieder aufgehen wird, wenn sie am Abend für die Nacht Platz gemacht hat und die Meereswellen sich bei Ebbe zurückziehen, damit sie als Flut wieder an Land brechen können. Dass Gegensätze sich anziehen, um miteinander Vollkommenheit
anzustreben. Alles unterliegt einem Kreislauf, in allem vollzieht sich ein bestimmter Rhythmus. Sein und Nichts bedingen sich gegenseitig.
Die Prozesse in der Natur geschehen de facto ohne menschliches Zutun. Tatsächlich sind wir die letzten Menschen im Sinne Nietzsches: der Übermensch wird derjenige sein, der die Abwesenheit Gottes und die Abwesenheit des Menschen im gleichen Akt der Überschreitung überwunden haben wird.
Der bereits zitierte Philosoph Thomas Nagel stellt in Zusammenhang mit unserem früher oder später eintretenden irdischen Dahinscheiden die ungewöhnliche Frage: „Wie kann die Aussicht unserer eigenen Nichtexistenz auf eine positive Weise alarmierend sein? Wenn wir mit dem Tod wirklich zu existieren aufhören, wie kann es dann etwas geben, vor dem wir Angst haben? Denkt man logisch darüber nach, so sieht es so aus, als sollten wir vor dem
Tod nur Angst haben, sofern wir ihn überleben und vielleicht irgendeiner schrecklichen Verwandlung unterworfen sein werden. Doch dies hindert viele Leute nicht daran, das Ausgelöschtsein für etwas vom Schlimmsten zu halten, das ihnen zustoßen kann.“
Das in Porzellan manifestierte Vogelnest von Marie Ruprecht oder das abgeformte Wespennest aus ihrer Serie Hören, was der Wind sagt haben ihre Gestaltungen der Natur entliehen. Aus ihnen ist alles Leben gewichen. Sie repräsentieren etwas, das einem Relikt gleicht. Ähnlich einem leeren Schneckenhaus, das wir zufälligerweise auf einem Weg finden.
Schön in der Form, aber nunmehr tote Materie. Ruprecht befasst sich in ihrer Kunst mit
einem ästhetischen Konzept, das die Abwesenheit von Lebendigem thematisiert.
Ihre in Porzellan verewigten Tierhabitate sind kleine Wunder für sich, kostbare Raritäten, die aus der Schatzkammer Rudolf II. in Prag entstammen könnten. Preziosen wie leere Hülsen, deren funktionaler Wert in der Vergangenheit liegt, deren zwecklose Schönheit die Gegenwart überstrahlt. Ruprecht bewegt sich in ihrer Kunst auf mehreren zeitlichen Ebenen.

Ihre Werke sind das Resultat einer Analyse und zeigen sich als Visualisierung von Spuren vergangenen Lebens. Diese transponiert sie in ihrer ästhetischen Aussage in eine prospektive Ära, in der wir nicht mehr sein werden.
Marie Ruprecht und Antonia Riederer luden Gynjan Tyagi als Gastkünstlerin ein. Sie lernten die indische Künstlerin in Oberösterreich bei einem internationalen Symposium kennen.

 

Gynjan Tyagi wurde 1986 in Nordindien geboren und lebt in Upstate New York. Die bildende Künstlerin erwarb unter anderem den Titel Master of Fine Arts in Mumbai. Sie arbeitet neben der Malerei auch in den Medien Skulptur, Film und Design. Ihr Interesse gilt Umweltschutzthemen, der Politik, Gesellschaft sowie kulturellen Unterschieden und Identitäten. Gynjan Tyagi nimmt an verschiedenen internationalen Kunstprogrammen rund um den Erdball teil.
In ihren kleinformatigen Papierarbeiten sehen wir Menschen und Tiere in Posen, die Verrenkungen gleichkommen. Weshalb tun sich ihre Protagonist*innen das an? Es muss einen Grund dafür geben. Dieser ist jedoch für den/die Betrachtenden nicht sichtbar. Die Aggressor*innen oder Täter*innen werden ausgespart, wodurch der Spannungsbogen im Bild erhöht wird. Nicht eine Handlung, sondern die Folgewirkung einer solchen wird zum
Bildthema gemacht. Skurrile, surreale Zusammenhänge werden präsentiert und durch die märchenhaft wirkende Darstellungsweise zusätzlich pointiert.
Obwohl die Werke gegenständlich gemalt sind, wirken sie dennoch rätselhaft. Die fehlenden Bildhintergründe entheben sie zusätzlich der Realität und lassen sie im luftleeren Raum schweben.
Mich erinnern Gynjan Tyagis kleinformatigen, gegenständlichen Bilder an die indische Tradition der Miniaturmalerei, wenngleich man solche Themen dort bestimmt nicht finden wird. Dazu tritt das westliche Element der surrealen Verfremdung durch Strategien des Verhüllens, Abdeckens und Versteckens. Gerade diese Manipulationen am sichtbaren Bestand, diese bewussten Beeinträchtigungen der visuellen Prägnanz erhöhen die Spannung in ihren Arbeiten. Die vier ausgestellten Werke erzählen demnach, obwohl sie
sehr harmlos daherkommen, von Unfreiwilligkeit. Zwangssituationen werden thematisiert.
Tyagis Bilder wirken wie Hieroglyphen, wie Buchstaben eines Alphabets, die – per se betrachtet – abstrakt sind. Erst in der seriellen Zusammensicht ergibt sich ein Sinnzusammenhang, der von Leid, Unterdrückung, Eingesperrt-Sein und Unterwerfung berichtet. Gynjan Tyagis feine, kleinformatige Arbeiten sind subtil in ihrer Aussage und wer sie lesen kann, dem eröffnet sich eine Perspektive auf die mitunter leidvolle Geschichte eines ganzen Subkontinents. Dadurch demonstrieren ihre Werke eine ebenso ästhetische wie eindringliche gesellschaftsrelevante Aussage, die lokale kulturelle Traditionen wiederaufnimmt und auf einer globaleren Ebene fortführt.

DER LAUF DES LEBENS | Margot Nazzal, 2022 - 8. KUNSTSALON

Ich darf Sie sehr herzlich zum Kunstsalon hier im Zwinger von Schloss Hagenberg begrüßen. Ich freue mich sehr, von den beiden Initiatorinnen dieses nun schon seit 2017 in regelmäßigen Abständen stattfindenden Formats – Antonia Riederer und Marie Ruprecht – eingeladen worden zu sein, einige Worte zu ihrer neuen Ausstellung beizusteuern.

Der Kunstsalon hat sich unter der Initiative und dem beständigen Engagement der beiden Salonièrinnen als ein spannendes Format zeitgenössischen Kunstgeschehens in Oberösterreich etabliert. Im Zentrum steht dabei die Stärkung und Wahrnehmung von Künstlerinnen und das Spinnen künstlerischer Netzwerke, indem die beiden zu jeder ihrer Ausstellungen eine Gastkünstlerin einladen. Die heute zu eröffnende Ausstellung „Der Lauf der Dinge“ vereint neben Arbeiten Riederers und Ruprechts Arbeiten der Künstlerin Elke Punkt Fleisch. In ihrer ganz eigenen künstlerischen Ausdrucksweise widmen sich die drei diesem philosophischen und so vielfältigen Thema, beziehen sich dabei nicht nur aufeinander, sondern auch auf den Raum. Der Raum spielt eine wichtige Rolle in diesem Ausstellungsreigen. Da Ruprecht und Riederer die Ausstellungen abseits herkömmlicher Räume der Kunst positionieren, jenseits eines White Cubes, fordert jeder dieser gewählten Orte auch eine besondere Herangehensweise. Es ist ein sensibles Sich-Einlassen auf die Atmosphäre, das Raumgefühl. Andererseits ermöglicht jeder neue Raum auch ein ganz eigenes und spezielles Erleben der präsentierten Kunstwerke – kein Kunstsalon gleicht dem anderen. Nachdem die beiden Künstlerinnen zuletzt die Themen „Alle Zeit der Welt“ und „Über die Natur der Dinge“ aufgriffen, startet heute mit „Der Lauf der Dinge“ eine weitere Projektreihe, der noch zwei Ausstellungen dazu folgen werden.

Ihr nun schon fünfjähriges Tun rund um das Format „Kunstsalon“ präsentieren die beiden Künstlerinnen Ruprecht und Riederer heute auch in einer feinen Publikation, die dies auf gelungene Art und Weise nachzeichnet. Ich freue mich, dass damit der wichtige Beitrag der beiden Kunstschaffenden zum Kunstgeschehen in Oberösterreich auch über die zeitlich begrenzten Ausstellungen hinaus dokumentiert und aufgezeichnet wird.

Lassen Sie mich nun ein paar Worte zu den drei gezeigten künstlerischen Positionen sagen.

Die lebendige malerische Welt Antonia Riederers wird von einer regen Farbigkeit bestimmt. In oft ausladenden Formaten bringt sie mit kräftigem Kolorit und reduzierter Geste Menschen, Landschaften und verschiedenste Gegenstände auf Leinwand und Papier. Die Übergänge zwischen figural und abstrakt verschwimmen. Sie arbeitet ohne fotografische Vorlage, denn es geht ihr weniger um die Wiedergabe des Realen, als stärker um das Einfangen einer dynamischen Lebendigkeit, und dem Nachspüren der sich in ihrer Erinnerung befindlichen Formen und Landschaften. Farbflächen, -balken und –felder fängt sie ein mit schwarzer Kontur und verleiht den Motiven damit ihre Form. Ihre Werke berühren die Betrachtenden in ihrer Unmittelbarkeit.

Marie Ruprechts Arbeiten vereinen sich meist in Werkgruppen. Ihre künstlerische Arbeitsweise ist geprägt von ihrer Liebe zum Experiment in Hinblick auf das verwendete Material. Das Ausprobieren neuer künstlerischer Techniken gehört wie selbstverständlich zu ihrem künstlerischen Habitus. Die Besonderheiten der jeweiligen Techniken fließen in die visuelle Gestaltung mit ein.
Ruprechts Werke schaffen Gedankenräume, denen es als Betrachtende nachzuspüren gilt. Die Umsetzung ist dabei oft minimalistisch und reduziert, dennoch finden sich Elemente des Vertrauten in ihnen und lassen uns in unserer Betrachtung innehalten.

Dem gegenüber stehen die Werke der geladenen Künstlerin Elke Punkt Fleisch. Ihr künstlerischer Ausdruck manifestiert sich im Dreidimensionalen. Sie studierte plastische Konzeptionen an der Kunstuniversität Linz und ihr bevorzugtes Material ist die Keramik. Ihre skulpturalen Konzepte analysieren kritisch, nicht ohne einen Anflug der Ironie unsere Gesellschaft. Dabei verbindet Elke Punkt Fleisch sie mit performativen Prozessen, die die Möglichkeiten und Grenzen des Materials zu erweitern versuchen. Im Juli 2021 hat Elke Punkt Fleisch die Präsidentschaft des Kunstvereins DIE KUNSTSCHAFFENDEN übernommen.

Die heutige Ausstellung verbindet diese drei künstlerischen Positionen zu einem harmonischen Dreiklang, in den ich Sie einladen darf einzutauchen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Freude und darf die Ausstellung hiermit eröffnen.

Margot Nazzal

 

I would like to warmly welcome you to the Kunstsalon here in the Zwinger of Schloss Hagenberg. I am very pleased to have been invited by the two initiators of this format, which has been taking place regularly since 2017 – Antonia Riederer and Marie Ruprecht – to say a few words about their new exhibition.

Under the initiative and consistent dedication of the two Salon hosts, the Kunstsalon has established itself as an exciting format for contemporary art in Upper Austria. The focus is on enhancing the visibility and recognition of female artists and fostering artistic networks by inviting a guest artist to each exhibition. The exhibition opening today, „The Course of Things,“ features works by Riederer and Ruprecht alongside those of artist Elke Punkt Fleisch. Each of the three artists addresses this philosophical and multifaceted theme in their unique artistic expression, relating not only to each other but also to the space itself. The space plays an important role in this exhibition series. Since Ruprecht and Riederer position their exhibitions outside conventional art spaces, beyond a white cube, each chosen location demands a special approach. It requires a sensitive engagement with the atmosphere and spatial feeling. On the other hand, each new space also allows for a unique and special experience of the presented artworks – no art salon is the same as another. After exploring the themes „All the Time in the World“ and „About the Nature of Things,“ today marks the beginning of a new project series with „The Course of Things,“ with two more exhibitions to follow.

The five years of activity surrounding the „Kunstsalon“ format are also presented today by the artists Ruprecht and Riederer in a fine publication that successfully captures their work. I am pleased that the important contribution of these two artists to the art scene in Upper Austria is documented and recorded beyond the temporary exhibitions.

Allow me now to say a few words about the three artistic positions on display.

Antonia Riederer’s vibrant painterly world is characterized by its lively use of color. In often expansive formats, she brings people, landscapes, and various objects to canvas and paper with bold color and reduced gestures. The boundaries between figuration and abstraction blur. She works without photographic references, focusing less on reproducing the real and more on capturing a dynamic vitality and the forms and landscapes present in her memory. She delineates color fields, bars, and areas with black contours, giving her motifs their form. Her works touch viewers with their immediacy.

Marie Ruprecht’s works typically come together in groups. Her artistic process is marked by a love for experimenting with materials. Exploring new artistic techniques is an integral part of her artistic practice. The peculiarities of each technique are reflected in the visual design. Ruprecht’s works create conceptual spaces that invite viewers to explore. The execution is often minimalist and reduced, yet familiar elements within them cause us to pause in our contemplation.

In contrast, the works of the invited artist Elke Punkt Fleisch manifest in three dimensions. She studied plastic concepts at the Art University of Linz, with ceramics being her preferred material. Her sculptural concepts critically analyze our society, often with a touch of irony. Elke Punkt Fleisch connects these concepts with performative processes that seek to expand the possibilities and limits of the material. In July 2021, Elke Punkt Fleisch assumed the presidency of the art association DIE KUNSTSCHAFFENDEN.

Today’s exhibition brings these three artistic positions together in a harmonious trio that I invite you to explore. I wish you much enjoyment and hereby declare the exhibition open.

Margot Nazzal

DAS FRUCHTBARE LAND | Roland Forster, 2022 - 7. KUNSTSALON

In unserem fruchtbaren Land, unserer Region, liegt das namensgebende Eferding, das heuer das 800jährige Stadtrechtsjubiläum feiert; in dieser Stadt steht die Spitalkirche mit dem 1325 gegründeten Schiferschen Erbstift, einer seit beinahe 700 Jahren „fruchtbar“ wirkenden Sozialinstitution der Herren von Schifer, errichtet aus Sorge um verarmte Untertanen der Grundherrschaft, nicht zuletzt aber auch aus Sorge um das Seelenheil der Stifter selbst. Diese mit reichem Grundbesitz ausgestattete religiös-humanitär ausgerichtete Stiftung erlebte in der Folge fruchtbare Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte, bevor sich die Zeiten zu „furchtbaren“ wandelten: Die Kirche wurde zu Ende des 18. Jahrhunderts unter Kaiser Joseph II. entweiht, geräumt und als Lagerraum bzw. Stall zweckentfremdet. Während die Kirche um die Mitte des 19. Jahrhunderts wieder geweiht und neu ausgestattet wurde, kam im Dritten Reich schließlich das Ende der damals schon über 600 Jahre existierenden Spitalstiftung und das eine oder andere Grundstück fand seinen Weg in den Besitz damals federführender Betreiber der Auflösung; die Gebäude des Erbstifts verblieben schließlich bei der Stadt Eferding. Und nun bildet der mit dieser langen Geschichte beladene Raum den Rahmen, mit dem es sich bei der Konzeption dieser Ausstellung auseinander zu setzen bzw. den es zu bespielen galt.

Als erwähnenswerte Besonderheit erscheint mir im Zusammenhang mit dem Ausstellungsthema und als Vorgriff auf meine folgenden Ausführungen, dass die zur Vergabe an die Armen vorgesehenen Brote am Stifterdenkmal im Altarraum dieser Kirche aufgelegt wurden.

Die Künstlerinnen Antonia Riederer aus Prambachkirchen sowie Marie Ruprecht aus Aschach an der Donau und Birgit Koblinger aus Aschach bzw. Linz nähern sich in drei unterschiedlichen Sichtweisen dem Ausstellungsthema: während Antonia Riederer einen rein malerischen, großformatigen Zugang zum Gegenstand findet und Marie Ruprecht mit Bildarrangements und einer Kleinskulptur über das Malerische hinausgreift, nähert sich Birgit Koblinger dem Thema des fruchtbaren Landes mit (kleinen) Glasobjekten.

Die großformatigen Werke von Antonia Riederer besetzen – „Andachtsbildern“ gleich – die beiden Seitenaltäre mit den Themen „Wachsen“ und der Beziehung zwischen „Mensch und Natur“, während in zwei Nischen der Langhausmauer die „Aussaat“ und die „kostbare Frucht“ präsentiert werden. Es geht um das Bewusstmachen der immer mehr als selbstverständlich hingenommenen Vorgänge des Säens, Wachsens und Erntens, symbolisiert durch die Präsentation eines einfachen Apfels als wenig beachtetes Wunder der Natur, als wertvolles Lebensmittel, nicht zuletzt auch als kostbare Frucht. In der Beziehung zwischen Mensch und Natur sollte der Wertigkeit unserer Nahrungsmittel gerade im fruchtbaren Eferdinger Becken besondere Aufmerksamkeit zuteil werden, denn hierbei handelt es sich neben der Lebensgrundlage auch um unsere Identität, um Bleibendes und zu Bewahrendes.

Marie Ruprecht beschäftigt sich in ihrer Malerei mit dem dominierenden Element des „fruchtbaren Landes“, der Donau, die dieses in West-Ost-Richtung durchströmt und dabei eine Vielfalt an Blickpunkten schafft. Diese impressionistischen Bilder sind keine Abbildungen realer Orte, vielmehr eingefangene Farbenspiele, Atmosphären und Lichtstimmungen zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten; teilweise verleihen Verformungen und Faltungen der unmittelbar bildtragenden, nicht grundierten Leinwand den Bildern reliefartige Züge. Zu diesen im Rahmen der Ausstellung in eindrücklichen Bilderzyklen präsentierten Landschaftskompositionen kommt die Darstellung von Gefäßen, die als „Hüllen“ die Gaben des Landes bewahren sollen.
Mit der Kleinskulptur eines aus „Goldhaubenmaterial“ gefertigten Apfels wird einerseits ein thematischer Bezug zur Präsentation des Apfels als Symbol des fruchtbaren Landes bei Antonia Riederer hergestellt, andererseits auch ein Übergang zu den Skulpturen von Birgit Koblinger. Deren Werke stellen Transformationen vertrauter Erinnerungen, Formen und Früchte in Glasabgüssen dar, wobei die ursprünglichen Objekte durch den Herstellungsvorgang zerstört wurden.
Ein Glasobjekt symbolisiert die persönliche Sicht von „Prägungen“ und ein besonderes Objekt setzt sich mit Gefahr und Schrecken der das Land teilenden Donau auseinander, indem es als symbolische Aufarbeitung die letzten Luftblasen einer Ertrinkenden in Glas zu konservieren versucht.

Schließen möchte ich mit einer Aussage, die vor Jahren ein Mitbewohner im Studentenheim angesichts eines Gemäldes von El Greco tätigte; er, ein französischsprachiger Medizinstudent meinte: „Kunst muss über der Zeit sein“; ich denke, man kann diese Aussage erweitern auf „Kunst darf/soll/muss aus ihrer Zeit kommen, aber auch über der Zeit stehen“; jeder könnte dann in einer persönlichen Auseinandersetzung damit seine Sicht auf die Gegenwart schärfen und Perspektiven für die, insbesondere aber seine Zukunft ableiten.
In diesem Sinne wünsche ich dieser Ausstellung und den drei engagierten Künstlerinnen aus unserer Region viele interessierte Besucher, die diesen Ort möglicherweise nachdenklicher über unseren Umgang mit dem, unserem „fruchtbaren Land“ verlassen und den einen oder anderen Aspekt mit neuen, vielleicht kritischen Blicken sehen werden.

Roland Forster

 

In our fertile land, in our region, lies the town of Eferding, which is celebrating its 800th anniversary of city rights this year. In this town stands the Spitalkirche with the Schiferschen Erbstift, founded in 1325. This institution has been a „fruitful“ social establishment of the Schifer family for nearly 700 years, established out of concern for the impoverished subjects of the estate and, not least, for the spiritual welfare of the founders themselves. This religious and humanitarian foundation, endowed with extensive landholdings, experienced fruitful years, decades, and centuries before times turned „terrible“: In the late 18th century, under Emperor Joseph II, the church was desacralized, cleared out, and repurposed as a storage space and stable. Although the church was reconsecrated and refurbished in the mid-19th century, the end came during the Third Reich. By then, the hospital foundation, which had existed for over 600 years, was dissolved, and some of its properties found their way into the possession of the then-leading figures in the dissolution process; the buildings of the Erbstift remained with the town of Eferding. And now, this space, laden with such a long history, forms the context for the conception and presentation of this exhibition.

An interesting detail related to the exhibition theme, and a preview of my following comments, is that the bread intended for the poor was placed at the memorial of the founders in the altar area of this church.

The artists Antonia Riederer from Prambachkirchen, Marie Ruprecht from Aschach on the Danube, and Birgit Koblinger from Aschach or Linz approach the exhibition theme from three different perspectives: While Antonia Riederer takes a purely painterly, large-format approach to the subject, Marie Ruprecht extends beyond the painterly with picture arrangements and a small sculpture, and Birgit Koblinger addresses the theme of the fertile land with (small) glass objects.

Antonia Riederer’s large-format works occupy – much like “devotional images” – the two side altars with the themes of “Growth” and the relationship between “Human and Nature,” while in two niches of the nave wall, “Sowing” and “Precious Fruit” are presented. It’s about raising awareness of the often-taken-for-granted processes of sowing, growing, and harvesting, symbolized by the presentation of a simple apple as an unnoticed miracle of nature, a valuable food, and not least, a precious fruit. In the relationship between human and nature, special attention should be given to the value of our food, especially in the fertile Eferding Basin, as it represents not only a livelihood but also our identity, something lasting and worth preserving.

Marie Ruprecht’s paintings engage with the dominant element of the “fertile land,” the Danube, which flows through it from west to east, creating a variety of viewpoints. These impressionistic paintings are not depictions of real places but rather captured color games, atmospheres, and light moods at different times of the year and day. Some of the paintings gain a relief-like quality due to distortions and folds in the unprimed canvas. In addition to these impressive landscape compositions presented in the exhibition, Ruprecht depicts vessels designed to preserve the land’s gifts. The small sculpture of an apple made from “golden cap material” creates a thematic link to the apple as a symbol of the fertile land in Antonia Riederer’s work, and also transitions to Birgit Koblinger’s sculptures. Koblinger’s works represent transformations of familiar memories, forms, and fruits in glass casts, with the original objects being destroyed during the manufacturing process. One glass object symbolizes the personal view of “impressions,” and another particular piece addresses the danger and horror of the Danube dividing the land by attempting to preserve the last air bubbles of a drowning person in glass as a symbolic processing.

I would like to conclude with a statement made years ago by a fellow student in the dormitory in response to a painting by El Greco. He, a French-speaking medical student, said: “Art must be above its time.” I believe this statement can be extended to say that “Art may/should/must come from its time but also stand above time.” In this way, everyone could sharpen their perspective on the present and derive perspectives for the future, particularly their own.

In this sense, I wish this exhibition and the three committed artists from our region many interested visitors who may leave this place more thoughtfully regarding our relationship with our “fertile land” and see one or another aspect with new, perhaps critical eyes.

Roland Forster

VORWORT - KUNSTSALON Katalog | Brigitte Hütter, 2022

Vor mittlerweile fünf Jahren entwickelten die beiden bildenden Künstlerinnen und Absolventinnen der Kunstuniversität Linz, Antonia Riederer und Marie Ruprecht, den KUNSTSALON als neues Format. Die Präsentation und Stärkung der Wahrnehmung von Künstlerinnen stand und steht dabei ebenso im Zentrum wie die Bildung von Netzwerken, die in den kommenden Jahren weitergeknüpft und gefestigt werden sollen.

Ausgewählte Gastkünstlerinnen werden zu professionell gestalteten Ausstellungsprojekten eingeladen und nicht zufällig führen Gegeneinladungen zu einem weiteren vertieften Austausch. In ihrer kuratorischen Zusammenarbeit realisieren Riederer und Ruprecht Ausstellungen in ungenutzten Räumen und verwandeln deren Flächen in neue Möglichkeitsräume. Charakteristisch ist die künstlerische Auseinandersetzung mit komplexen Themen und deren Vertiefung über einen längeren Zeitrahmen hinweg.

Die Kunstuniversität Linz fokussiert die zeitgenössische Kunst als Form der kritischen Auseinandersetzung und des radikalen, mutigen und überdisziplinären Neudenkens von Gegenwarts- und Zukunftsfragen. Antonia Riederer und Marie Ruprecht leben diesen Ansatz. Sie tun dies mit dem KUNSTSALON ebenso wie mit ihrem persönlichen künstlerischen Schaffen. Dieser Katalog gibt einen Überblick über das kuratorische und künstlerische Werk der beiden Persönlichkeiten. Er zeigt den Mut zum Experiment ebenso wie die Positionierung und Haltung der beiden in künstlerischen und gesellschaftlichen Fragen. Er ist also Werkschau und Reflexionsimpuls für alles weitere Zukünftige. Wir dürfen gespannt sein.

MAG. BRIGITTE HÜTTER | Rektorin Kunstuniversität Linz

 

Five years ago, the two visual artists and graduates of the University of Art and Design Linz, Antonia Riederer and Marie Ruprecht, developed the KUNSTSALON as a new format. The presentation and strengthening of the perception of female artists was and is just as much a focus as the formation of networks, which are to be further established and consolidated in the coming years.

Selected guest artists are invited to professionally designed exhibition projects and it is no coincidence that return invitations lead to a further in-depth exchange. In their curatorial collaboration, Riederer and Ruprecht organise exhibitions in unused spaces and transform their surfaces into new spaces of possibility. Characteristic is the artistic examination of complex topics and their deepening over a longer period of time.

The University of Art and Design Linz focuses on contemporary art as a form of critical examination and radical, courageous and interdisciplinary rethinking of present and future issues. Antonia Riederer and Marie Ruprecht live this approach. They do so through the KUNSTSALON as well as with their personal artistic work. This catalogue provides an overview of the curatorial and artistic work of these two personalities. It shows the courage to experiment as well as the positioning and attitude of the two in artistic and social issues. It is therefore a retrospective and impulse for reflection on everything to come. We can be curious.

MAG. BRIGITTE HÜTTER | director of the University of Art and Design Linz

ALLE ZEIT DER WELT | Christine Haiden, 2019 - 4. KUNSTSALON

Wie lange darf ich brauchen?
Sie haben alle Zeit der Welt. Ein Versprechen, ein Paradies.
Aber wir wissen, daran stimmt etwas nicht. Haben wir Zeit? Nein, wir haben keine Zeit. Und das ist keine Floskel, sondern eine Feststellung.
Wir haben keine Zeit.

Zeit lässt sich nicht besitzen. Zeit ist.
Zeit vergeht nicht, Zeit kommt nicht. Zeit ist.
Wir sind in der Zeit. Wir haben keine Zeit.

Wir sind in der Zeit, nicht, weil ich innerhalb einer bestimmten Norm mit meiner kleinen Rede fertig sein werde, sondern weil Zeit einfach ist, wenn wir sind.
Wir haben nicht alle Zeit der Welt, wir sind alle Zeit der Welt.
Im Sein sind wir in der Zeit und in der Welt.

Insofern ist die Zeit das Biotop des Lebendigen. Und was ist das Lebendige?
Das Lebendige ist das Schöpferische, unsere Kreativität, das Hervorbringende.
Es kommt aus der Zeit, ist in der Zeit und reicht über sie hinaus, um wieder ganz in ihr zu sein.

Künstlerinnen schöpfen und schaffen im Biotop der Zeit auf besondere Weise. Sie fragen und forschen, sie trennen und verknüpfen, sie stülpen und formen neu. Sie nehmen sich die Zeit und bringen sie zum Fließen, sie vermessen die Zeit und stellen eine neue Zeitrechnung an, sie untersuchen die Zeit und erfinden sie mit ihren Mitteln neu.

Im Kunstsalon, den wir heute eröffnen, lernen Sie drei Künstlerinnen und ihren Umgang mit der aller Zeit der Welt besser kennen.

Und bevor ich sie Ihnen etwas näher vorstelle, noch ein Wort zur speziellen Form der Zeit, den diese im Mobilen Kunstsalon annimmt. Die Zeit bewegt sich mit den Werken der Künstlerinnen an einen besonderen Ort und füllt dort eine Zeitlang einen Raum, der schon darauf gewartet hat.

Dieses Mal ist es das Foyer des Bildungshauses Schloss Puchberg. Dieser Ort ist eine Wegkreuzung, an dem sich Menschen mit unterschiedlichen Zielen bewegen, um durchzugehen oder zu verweilen, um ein Stück Zeit zu durchmessen. Dieser Ort ist ein Raum, in dem innere und äußere Zeitvorgaben aufeinandertreffen, indem aber auch Zeitabläufe miteinander in Kontakt kommen.

Die Termine der Seminare, Workshops und Veranstaltungen kreuzen sich mit den persönlichen Zeitplänen und dem Zeitempfinden der Besucherinnen und Besucher. Vor den Fenstern des Foyers geht die Natur ihrem ganz eigenen Rhythmus im Zeitlauf nach, und beeinflusst mit dem wahrnehmbaren Werden und Vergehen das Zeitempfinden, derer die dabei zusehen. Aber auch das Zeitmaß des Hauses, das schon viele kommen und gehen hat sehen, ist spürbar und mischt sich in die Diskussion, ob wir denn nun alle Zeit der Welt haben oder sind, ein.

In diesem Zeitraum positioniert nun der mobile Kunstsalon sein Zeitgespräch. Er lädt, wie schon das Wort sagt, ein und er interveniert gleichzeitig im vorgefundenen Raum und der vereinbarten Zeit. Er hat etwas vor mit jenen, die hier durchkommen, sich aufhalten oder nach Anregung suchen.

Die Zeit ist das Biotop des Schöpferischen, habe ich zu Beginn gesagt, in der Zeit wächst alles, was ist.
Und was wächst hier im Kunstsalon?

Drei Künstlerinnen stellen sich mit ihren Positionen in den Fluss der Zeit und untersuchen, was es auf sich hat mit der großen Ansage „Alle Zeit der Welt“. Es sind Positionen, die sich aufeinander, auf das Thema und auf den Raum, aber auch auf die gestaltenden und betrachtenden Menschen selbst beziehen. Wir sind in der Zeit und wir sind in den Werken, die wir und andere schöpfen. Nichts ist, wie es ist, aber alles wird ununterbrochen, was es werden kann. Das ist ein Wesenszug von Zeit und vielleicht auch der Kunst.

Drei Frauen, Antonia Riederer, Marie Ruprecht und Judith P. Fischer begeben sich mit uns auf Zeitreise. Antonia Riederer und Marie Ruprecht als Salonieren, als jene, die diese spezielle Form der Kunstpräsentation und Kunstintervention erfunden haben, und ihr Gast in Puchberg, Judith P. Fischer.

Ich darf Ihnen die drei und ihre Arbeiten kurz vorstellen.

Antonia Riederer und Marie Ruprecht haben beide in Linz studiert, die eine Malerei, die andere Experimentelle Visuelle Gestaltung. Beide sind freischaffend, die eine in Prambachkirchen, die andere in Aschach. Judith P. Fischer hingegen ist in Linz geboren, hat aber in Wien Musik und Bildhauerei studiert, lebt in Wien und auf dem Land.

Antonia Riederer und Marie Ruprecht haben mit dem mobilen Kunstsalon eine Form von Freiheit erfunden. Unabhängig vom Galeriebetrieb können sie ihre Werke und die von Gästen an besonderen Orten präsentieren und sich über einen längeren Zeitraum mit einem Thema befassen. Und das sind beileibe keine kleinen Fragen, die sie aufgreifen. War es die „Natur der Dinge“ in der ersten Runde des Kunstsalsons, ist es jetzt „Alle Zeit der Welt“.

Die beiden Salonieren gehen wie auch ihre Gastkünstlerin Judith P. Fischer auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema um und beziehen sich doch sehr aufeinander.

Marie Ruprecht arbeitet eher in Serien. Sie untersucht und materialisiert Zeit in kleinen Formaten. Sensibel sucht sie, was im Außen an Spuren der Zeit flüchtig und was bleibend ist. So hat sie teile des Puchberg Schlosses, Stücke des Sternparketts im ersten Stock oder der ganz alten Ziegel der Bar im Erdgeschoss mit einer ganz eigenen, von ihr erfundenen Methode in einem Prägedruck sozusagen aus der Zeit genommen und sie in neuer Form in die Zeit hineingesetzt. Marie Ruprecht experimentiert gerne mit Techniken. Für einen Text von Jan Wagner hat sie den Wiederdruck der Schrift mit dem Abrieb eines Bleistiftspitzers  wieder sichtbar gemacht und sozusagen in die Zeit zurückgeholt. Sie verarbeitet aber auch altes Leinen – feiner Weise solches, das sie vor bald zwanzig Jahren für die Präsentation ihrer Diplomarbeit in einer Linzer Galerie gebraucht hat –  und gestaltet daraus Landschaften. Aus Knittern und Falten, die sich durch das Waschen ergeben, werden Landschaften, Gesichter ohne Menschen. Fast meditativ verleiten sie dazu, sich in der Zeit zu verlieren.

Dagegen stehen die Malereien von Antonia Riederer wie monumentale Anfragen im Raum. Sie stellen Fragen nach dem, was die Zeit mit uns macht, weil wir so viel aus ihr machen wollen. Sie fragen, wie wir uns gegen die Zumutung der Zeitbedrängnis schützen können. Sie fragen, ob uns Zeit eint oder entzweit. Antonia Riederer konzentriert sich ganz auf die Technik, die ihr die liebste ist, weil sie dazu nicht mehr als Pinsel, Leinwand und Farbe braucht. Sie setzt die klaren Farben und die starken Konturen mit Kraft und Schwung auf die Leinwand. Köpfe und die menschliche Figur, immer schon das zentrale Thema ihrer Malerei, prägen als starke Persönlichkeiten den Raum, in dem sie sind. Eine besonders schöne Zeitbrücke finde ich in den Arbeiten von Antonia Riederer hier im Bildungshaus Puchberg darin, dass die Köpfe in der Form mit den Arbeiten von Lydia Roppolt, einen Stock tiefer in der Kapelle ein Gespräch über die Zeit hinweg aufnehmen, und die Farben der Bilder eines mit den Glasarbeiten von Rudolf Kolbitsch im dahinterliegenden Festsaal des Hauses.

Ganz andere Korrespondenzen nehmen die Arbeiten von Judith P. Fischer auf. Es sind Skulpturen, die am Zwiegespräch der beiden Salonieren auf ganz feine Weise teilnehmen. In den Arbeiten von Judith Fischer wird die Materialität von Zeit auf eine ganz andere Art umgesetzt und spürbar. Da sind etwa die Pillows, die Pölster, die man als Zeitpölster interpretieren kann. Sie wurden tatsächlich schon benützt und tragen eine Zeitgeschichte in sich. Sie haben in der neuen Form aber schon ein fast ewiges Leben, sind herausgenommen aus dem schnellen Fluss der genutzten Zeit in das langsame Fließen der ungenützten Zeit. Judith Fischer schafft aus einem Fingerprint ein Labyrinth aus Metall, sie gestaltet Loops, Schleifen, die so etwas wie die DNA der Zeit sein können, endlos und doch begrenzt. Im Tor zeigt sie die Möglichkeit, etwas aufgehen und schließen zu lassen, den Anfang und das Ende als Durchgangsraum erschienen zu lassen. Boules und Evolas, Kugeln und große eckige Eier, wenn man so will, beanspruchen ihren Raum als ob sie Gebrauchsgegenstände wären, die aber doch mit ihrer klaren Identität einen ganz spezifischen Raum für sich beanspruchen. Judith Fischer verbindet Skulptur und Zeichnung, sie experimentiert mit verschiedenen  Materialien, konstruiert exakt und gibt doch auch dem Zufall eine Chance, sich in die Schöpfung einzubringen.
Gehen wir nicht auch so mit unserer Zeit und mit der Zeit, in der wir sind, um?

Spielt es eine Rolle, dass drei Frauen diesen Kunstsalon gestaltet und eine vierte ihn heute eröffnet?
Es ist immer riskant, spezifisch Weibliches ausmachen oder benennen zu wollen. Aber doch ist es so, dass dem weibliche Körper in einer besonderen Art ein Maß der Zeit eingeschrieben ist. Es ist das Maß des Zyklus, des Wiederkehrenden, des Ansteigens und Abebbens, es auch das Maß der neun Monate, die eine Schwangerschaft dauert. In diesen Zyklen drückt sich ein besonderes Erleben aus, es ist die Zeit der Bereitschaft für Neues, für Schöpferisches, für Leben, das aus dem Körper und aus der Zeit selbst kommt und entsteht.

Hatte ich nun alle Zeit der Welt oder waren wir gemeinsam in der Zeit und in der Welt, im Flüchtigen, im Fließenden und im Bleibenden?

Am Schluss meiner einleitenden Worte möchte ich noch von einer sehr alten Frau erzählen. Vor vielen Jahren habe ich Warda Bleser-Bircher interviewt. Sie war damals 101 Jahre alt, eine Ingenieurin, die besonders gerne gemalt und gezeichnet hat. Trotz der Vielzahl der Jahre hatte sie das Gefühl, das Leben sei kurz, entsetzlich kurz, wie sie das formulierte. Sie war betrübt, in ihrem Leben ihren Lieben gegenüber viel versäumt zu haben, weil man immer wieder etwas auf später verschiebt und es dann zu schnell später ist. Mit der Zeit, meinte sie, lohne sich aber kein Wettlauf. Im Gegenteil. Mir werden ihre Worte immer im Gedächtnis bleiben. Sie sagte: „Man sollte immer in so einer Stimmung sein, als lebe man mitten in der Zeit. Sie trägt einen fort und man ist immer in der Zeit zu Hause.“

Ich wünsche dem Mobilen Kunstsalon und seinen Künstlerinnen eine erfüllte Zeit und Ihnen nun, da ich zu reden aufhöre, alle Zeit der Welt.

Eröffnung Kunstsalon Puchberg 5.10.2019

Christine Haiden

 

How long am I allowed to take?

You have all the time in the world. A promise, a paradise.
But we know there’s something wrong with that. Do we have time? No, we don’t have time. And this is not a cliché, but a statement.
We have no time.

Time cannot be owned. Time simply is.
Time does not pass, time does not come. Time simply is.
We are in time. We have no time.

We are in time, not because I will finish my short speech within a certain norm, but because time simply is when we exist.
We do not have all the time in the world; we are all the time in the world.
In being, we are in time and in the world.

In this sense, time is the biotope of the living. And what is the living?
The living is the creative, our creativity, the generative.
It comes from time, is in time, and extends beyond it to be fully within it again.

Artists create and shape in the biotope of time in a special way. They ask and explore, they separate and connect, they invert and reshape. They take their time and make it flow, they measure time and establish a new reckoning of time, they examine time and reinvent it with their means.

In the Kunstsalon we are opening today, you will get to know three artists and their approach to all the time in the world better.

And before I introduce them to you in more detail, a word about the special form of time that this takes in the mobile Kunstsalon. Time moves with the artists‘ works to a special place and fills a space that has been waiting for it.

This time, it is the foyer of the Bildungshaus Schloss Puchberg. This place is a crossroads where people move with different goals, to pass through or to linger, to traverse a piece of time. This place is a space where internal and external time constraints meet, and where time processes come into contact with each other.

The schedules of seminars, workshops, and events intersect with the personal time plans and time perceptions of visitors. Outside the foyer’s windows, nature follows its own rhythm in the course of time, influencing the time perception of those who watch the visible becoming and passing. But the time measure of the house, which has seen many come and go, is also palpable and adds to the discussion of whether we now have all the time in the world or are in time.

In this period, the mobile art salon positions its time dialogue. It invites, as the word says, and simultaneously intervenes in the given space and the agreed time. It has something in mind for those who pass through here, stay, or seek inspiration.

Time is the biotope of the creative, as I said at the beginning; in time, everything that exists grows.
And what grows here in the Kunstsalon?

Three artists position themselves in the flow of time and investigate what it means to have „All the Time in the World.“ These positions relate to each other, to the theme, and to the space, but also to the creating and observing individuals themselves. We are in time, and we are in the works that we and others create. Nothing is as it is, but everything is continuously becoming what it can be. This is a characteristic of time and perhaps of art as well.

Three women, Antonia Riederer, Marie Ruprecht, and Judith P. Fischer, embark on a journey through time with us. Antonia Riederer and Marie Ruprecht as salonists, those who invented this special form of art presentation and intervention, and their guest in Puchberg, Judith P. Fischer.

Let me briefly introduce the three and their works.

Antonia Riederer and Marie Ruprecht both studied in Linz, one in painting, the other in Experimental Visual Design. Both are freelance artists, one in Prambachkirchen, the other in Aschach. Judith P. Fischer, on the other hand, was born in Linz but studied music and sculpture in Vienna and lives in Vienna and the countryside.

Antonia Riederer and Marie Ruprecht have invented a form of freedom with the Mobile Art Salon. Independent of the gallery system, they can present their works and those of guests at special locations and engage with a theme over an extended period. And these are by no means small questions they address. While the first round of the art salon was about „The Nature of Things,“ the current theme is „All the Time in the World.“

The two salonists, as well as their guest artist Judith P. Fischer, approach the theme in very different ways while still relating closely to each other.

Marie Ruprecht works mainly in series. She examines and materializes time in small formats. She sensitively seeks what is fleeting and what is lasting in the external world. For example, she has taken parts of Schloss Puchberg, pieces of the starry parquet on the first floor, or very old bricks from the bar on the ground floor and, using a unique method she invented, pressed them into a new form, placing them back into time. Marie Ruprecht enjoys experimenting with techniques. For a text by Jan Wagner, she made the reprint of the text visible again with the abrasion of a pencil sharpener, so to speak, bringing it back into time. She also processes old linen—fine linen that she used nearly twenty years ago for her diploma presentation in a Linz gallery—and creates landscapes from it. Wrinkles and folds from washing become landscapes, faces without people. They almost invite you to lose yourself in time in a meditative way.

In contrast, Antonia Riederer’s paintings present monumental inquiries in the space. They ask what time does to us because we want to do so much with it. They question how we can protect ourselves from the imposition of time pressure. They ask whether time unites or divides us. Antonia Riederer focuses entirely on the technique she loves most, as it requires no more than brushes, canvas, and paint. She applies clear colors and strong contours with force and vigor to the canvas. Heads and the human figure, always central to her painting, shape the space they occupy as strong personalities. I find a particularly beautiful time bridge in Antonia Riederer’s works here in the Bildungshaus Puchberg, as the heads in their form engage in a conversation across time with the works of Lydia Roppolt, one floor below in the chapel, and the colors of the paintings with the glass works of Rudolf Kolbitsch in the adjacent festival hall of the house.

The works of Judith P. Fischer correspond in a completely different way. They are sculptures that participate in the dialogue between the two salonists in a very subtle way. In Judith Fischer’s works, the materiality of time is realized and felt in a different manner. For example, there are the pillows, which can be interpreted as time pillows. They have actually been used and carry a history of time within them. In their new form, they have almost eternal life, removed from the fast flow of used time into the slow flow of unused time. Judith Fischer creates a labyrinth from a fingerprint in metal, designs loops, which could be considered the DNA of time, endless yet limited. In the gate, she shows the possibility of opening and closing something, making the beginning and the end appear as a passageway. Boules and Evolas, spheres and large square eggs, if you will, claim their space as if they were objects of use, but with their clear identity, they claim a specific space for themselves. Judith Fischer connects sculpture and drawing, experiments with various materials, constructs precisely, and yet also allows chance to contribute to creation.

Do we not also handle our time and the time we are in in this way?

Does it matter that three women have designed this art salon and a fourth is opening it today?
It is always risky to identify or name something specifically feminine. But it is true that the female body carries a special measure of time. It is the measure of the cycle, of recurrence, of rising and ebbing, and also the measure of the nine months of pregnancy. In these cycles, a special experience is expressed; it is the time of readiness for new things, for creativity, for life that comes from the body and from time itself and is created.

Did I now have all the time in the world, or were we together in time and in the world, in the fleeting, in the flowing, and in the enduring?

At the end of my introductory words, I would like to tell you about a very old woman. Many years ago, I interviewed Warda Bleser-Bircher. She was then 101 years old, an engineer who particularly enjoyed painting and drawing. Despite the many years, she felt that life was short, terribly short, as she put it. She was saddened by having missed much with her loved ones because one keeps postponing things and then it is too late. According to her, there is no point in racing against time. On the contrary. Her words will always stay with me. She said: “One should always be in a mood as if living right in the middle of time. It carries you along and you are always at home in time.”

I wish the mobile Kunstsalon and its artists a fulfilling time, and now, as I finish speaking, I wish you all the time in the world.

Opening of the Kunstsalon Puchberg, October 5, 2019

Christine Haiden