Riederer – Ruprecht – Tyagi
Antonia Riederer studierte Malerei und Grafik an der Linzer Kunstuniversität bei Eric Ess, Ursula Hübner und Dietmar Brehm. Die 1971 in Grieskirchen geborene Malerin befasste sich in ihrer künstlerischen Ausbildung zunächst mit Grafik. Auf dem ersten Blick fällt auf, dass ihren Gemälden die grafische, konstruktive Linie zugrunde liegt. Zunächst entsteht ein lineares Gerüst auf der Leinwand, das den malerischen Vollzug vordefiniert. Wenn die Komposition steht, werden leuchtend bunte Farbtöne in breiten Pinselstrichen auf die Leinwand gesetzt und die Leerräume innerhalb des Liniengerüsts werden teilweise ausgefächert. Der mit Komplementär- und Warm-Kalt- und Hell-Dunkel-Kontrasten arbeitende Kolorismus verzurrt die Komposition in der Bildfläche. Die weiß ausgelassenen Kompartimente schaffen eine schillernde Lumineszenz, die sich von Licht und Farbe nährt.
Riederers Sehdinge beschreiben keine spezifischen, individuellen oder einzigartigen Begebenheiten. Ihre Bildaussage ist allgemeiner formuliert. Narrative Bausteine wie z. B. Haus, Baum, Mensch, Tisch, Buch werden miteinander kombiniert und auf farblich-formale Ausgewogenheit befragt. Der sichtbare Bestand wird auf einfache Formen reduziert. Die Sehdinge werden im Bild einzeln nebeneinandergesetzt. In den dadurch bedingten, formalen
wie auch inhaltlichen Zäsuren liegt ein Rhythmus, der die Bildaussage maßgeblich prägt. Der ästhetische Reiz liegt genau in diesem Stakkato, in dieser versatzstückartigen Anmutung, deren verbindendes Element einzig der luzide Kolorismus ist.
Man könnte sagen, dass die einzelnen Formen begriffliche Analogien wie die Wörter in einem konkreten Gedicht aufgreifen. Mit kantigen oder gerundeten Linien wird an einem strukturbetonten, schnörkellosen Ausdruck gearbeitet. Diese Malerei stellt keine Raumdiskussion vor, sondern verspannt sich durch ihr spezielles Kolorit in der Bildebene.
Wo kein Raum, da kein Äquivalent von Zeit. Der kraftvolle, bunte Kolorismus trägt neben der gestalterischen Konstruktion dazu bei, die Kompositionen der Zeit zu entheben. Konstruktion in der Linearität sowie im übergangslosen Nebeneinander von Farbflächen.
Diese formale Prägnanz lässt mich an die Odalisken von Henri Matisse oder an figurale Darstellungen seiner Rosenkranzkapelle in Vence denken: Keine Individuen, sondern allgemeine Formulierungen. Der Mensch an sich ist gemeint, kein/keine Einzelne von uns.
Der kreative Fokus liegt auf kompositionellen Aspekten. Auch meine ich Affinitäten zu Werken der Avantgardemalerei zu erkennen: Oskar Schlemmer, Bram van de Velde, Werner Bergs Spätkubismus, oder Analogien zur konkreten Poesie von Ernst Jandl oder visuellen Poesie von Josef Bauer.
Doch es sind nicht nur die visuellen Abbreviaturen, die die Künstlerin interessieren. Sie erfordern überdies große Konzentration, da sie in einem raschen Vollzug ausgeführt werden.
Riederers Gemälde drücken eine Harmonie aus, der konkrete Form- und Farbstudien zugrunde liegen. In diesem transformativen Akt können gegenständliche Sehdinge mitunter auch abstrakt aufgefasst werden. In ihren Gemälden wird formale Stringenz mit leuchtendem Kolorismus zu einem ästhetisch sehr ansprechenden Ganzen vereint.
Marie Ruprecht studierte Experimentelle Visuelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz bei Herbert Lachmayr. In ihrer künstlerischen Arbeit berührt die 1975 in OÖ Geborene Künstlerin existentielle Themen, die um den Sinn des Lebens, um Leben und Tod kreisen.
Der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel schrieb in seinem Essay Der Sinn des Lebens: „Vielleicht hatten Sie schon einmal den Gedanken, daß in Wirklichkeit alles egal ist, da wir in hundert Jahren alle tot sein werden. Eigentlich eine komische Idee, denn es ist nicht klar, warum aus dem Umstand, daß wir in hundert Jahren alle tot sein werden, folgen soll, daß nichts von dem, was wir jetzt tun, wirklich von Bedeutung ist.“ Nagel setzt fort: „Selbst
wenn Sie ein großes literarisches Werk hervorbringen, das auch in tausend Jahren noch gelesen wird, irgendwann wird das Sonnensystem erkalten oder das Universum wird ausgehen oder zerplatzen, und jede Spur Ihrer Bemühungen wird verschwinden. Jedenfalls dürfen wir noch nicht einmal auf einen Bruchteil einer derartigen Unsterblichkeit hoffen.
Wenn etwas von dem, was wir tun, überhaupt einen Sinn haben soll, dann haben wir ihn in unserem eigenen Leben zu suchen.“
Marie Ruprecht findet in der Natur Synonyme zu Themen, die sie künstlerisch bewegen. Ein kleiner gemaserter Talgsteinkubus inspirierte sie zu der hier ausgestellten Serie lasierter, monochromer Gemälde.
Was wäre, wenn Erde und Himmel, Klein und Groß miteinander in Einklang stünden? Die Vorstellung der Übereinstimmung von Mikrokosmos und Makrokosmos leitet sich aus den mystischen und esoterischen Lehren ab, wonach es auch Entsprechungen zwischen den menschlichen Gliedmaßen und dem Universum gibt. Kleines widerspiegelt sich in Großem und umgekehrt. So können mit unter sogar ganze Landschaften in einem einzelnen Steinblock zu finden sein.
Unsere Beziehung zum Stein ist so alt, dass wir den Beginn der Menschheitsgeschichte Steinzeit genannt haben. Die frühesten Werkzeuge und Waffen waren oft aus perfekt geformtem Stein; diese Objekte waren Symbole der Macht, die den frühen Menschen Stärke und Effektivität verliehen. Über alle Zeitalter hinweg gehörte der Stein zum menschlichen Leben. Marie Ruprecht befragt ihren Stein in ästhetischer Hinsicht. Seine monochrom gehaltenen Strukturierungen setzt sie in entsprechende Farbwerte um. Weiss – Grau –
Beige – Schwarz: in dieser bewusst gewählten farblichen Zurückhaltung, mit dieser gesteuerten Monochromie rührt sie an existentiellen Themen. Tod und Leben sind – wenn man so will – Geschwister. Das Eine bedingt das Andere, denn alles unterliegt einem Zyklus.
Ruhe, Stille und eine beschauliche Abkehr vom Lärm der Welt vermeint man aus ihren Gemälden herauslesen zu können. Sie erlauben uns, uns gedanklich den Grenzlinienunserer Existenz zu nähern und vielleicht sogar unsere Abwesenheit auf diesem Planeten zu imaginieren. Im gleichen Atemzug künden sie aber auch von zyklischen Prozessen, wonach die Sonne jeden Morgen wieder aufgehen wird, wenn sie am Abend für die Nacht Platz gemacht hat und die Meereswellen sich bei Ebbe zurückziehen, damit sie als Flut wieder an Land brechen können. Dass Gegensätze sich anziehen, um miteinander Vollkommenheit
anzustreben. Alles unterliegt einem Kreislauf, in allem vollzieht sich ein bestimmter Rhythmus. Sein und Nichts bedingen sich gegenseitig.
Die Prozesse in der Natur geschehen de facto ohne menschliches Zutun. Tatsächlich sind wir die letzten Menschen im Sinne Nietzsches: der Übermensch wird derjenige sein, der die Abwesenheit Gottes und die Abwesenheit des Menschen im gleichen Akt der Überschreitung überwunden haben wird.
Der bereits zitierte Philosoph Thomas Nagel stellt in Zusammenhang mit unserem früher oder später eintretenden irdischen Dahinscheiden die ungewöhnliche Frage: „Wie kann die Aussicht unserer eigenen Nichtexistenz auf eine positive Weise alarmierend sein? Wenn wir mit dem Tod wirklich zu existieren aufhören, wie kann es dann etwas geben, vor dem wir Angst haben? Denkt man logisch darüber nach, so sieht es so aus, als sollten wir vor dem
Tod nur Angst haben, sofern wir ihn überleben und vielleicht irgendeiner schrecklichen Verwandlung unterworfen sein werden. Doch dies hindert viele Leute nicht daran, das Ausgelöschtsein für etwas vom Schlimmsten zu halten, das ihnen zustoßen kann.“
Das in Porzellan manifestierte Vogelnest von Marie Ruprecht oder das abgeformte Wespennest aus ihrer Serie Hören, was der Wind sagt haben ihre Gestaltungen der Natur entliehen. Aus ihnen ist alles Leben gewichen. Sie repräsentieren etwas, das einem Relikt gleicht. Ähnlich einem leeren Schneckenhaus, das wir zufälligerweise auf einem Weg finden.
Schön in der Form, aber nunmehr tote Materie. Ruprecht befasst sich in ihrer Kunst mit
einem ästhetischen Konzept, das die Abwesenheit von Lebendigem thematisiert.
Ihre in Porzellan verewigten Tierhabitate sind kleine Wunder für sich, kostbare Raritäten, die aus der Schatzkammer Rudolf II. in Prag entstammen könnten. Preziosen wie leere Hülsen, deren funktionaler Wert in der Vergangenheit liegt, deren zwecklose Schönheit die Gegenwart überstrahlt. Ruprecht bewegt sich in ihrer Kunst auf mehreren zeitlichen Ebenen.
Ihre Werke sind das Resultat einer Analyse und zeigen sich als Visualisierung von Spuren vergangenen Lebens. Diese transponiert sie in ihrer ästhetischen Aussage in eine prospektive Ära, in der wir nicht mehr sein werden.
Marie Ruprecht und Antonia Riederer luden Gynjan Tyagi als Gastkünstlerin ein. Sie lernten die indische Künstlerin in Oberösterreich bei einem internationalen Symposium kennen.
Gynjan Tyagi wurde 1986 in Nordindien geboren und lebt in Upstate New York. Die bildende Künstlerin erwarb unter anderem den Titel Master of Fine Arts in Mumbai. Sie arbeitet neben der Malerei auch in den Medien Skulptur, Film und Design. Ihr Interesse gilt Umweltschutzthemen, der Politik, Gesellschaft sowie kulturellen Unterschieden und Identitäten. Gynjan Tyagi nimmt an verschiedenen internationalen Kunstprogrammen rund um den Erdball teil.
In ihren kleinformatigen Papierarbeiten sehen wir Menschen und Tiere in Posen, die Verrenkungen gleichkommen. Weshalb tun sich ihre Protagonist*innen das an? Es muss einen Grund dafür geben. Dieser ist jedoch für den/die Betrachtenden nicht sichtbar. Die Aggressor*innen oder Täter*innen werden ausgespart, wodurch der Spannungsbogen im Bild erhöht wird. Nicht eine Handlung, sondern die Folgewirkung einer solchen wird zum
Bildthema gemacht. Skurrile, surreale Zusammenhänge werden präsentiert und durch die märchenhaft wirkende Darstellungsweise zusätzlich pointiert.
Obwohl die Werke gegenständlich gemalt sind, wirken sie dennoch rätselhaft. Die fehlenden Bildhintergründe entheben sie zusätzlich der Realität und lassen sie im luftleeren Raum schweben.
Mich erinnern Gynjan Tyagis kleinformatigen, gegenständlichen Bilder an die indische Tradition der Miniaturmalerei, wenngleich man solche Themen dort bestimmt nicht finden wird. Dazu tritt das westliche Element der surrealen Verfremdung durch Strategien des Verhüllens, Abdeckens und Versteckens. Gerade diese Manipulationen am sichtbaren Bestand, diese bewussten Beeinträchtigungen der visuellen Prägnanz erhöhen die Spannung in ihren Arbeiten. Die vier ausgestellten Werke erzählen demnach, obwohl sie
sehr harmlos daherkommen, von Unfreiwilligkeit. Zwangssituationen werden thematisiert.
Tyagis Bilder wirken wie Hieroglyphen, wie Buchstaben eines Alphabets, die – per se betrachtet – abstrakt sind. Erst in der seriellen Zusammensicht ergibt sich ein Sinnzusammenhang, der von Leid, Unterdrückung, Eingesperrt-Sein und Unterwerfung berichtet. Gynjan Tyagis feine, kleinformatige Arbeiten sind subtil in ihrer Aussage und wer sie lesen kann, dem eröffnet sich eine Perspektive auf die mitunter leidvolle Geschichte eines ganzen Subkontinents. Dadurch demonstrieren ihre Werke eine ebenso ästhetische wie eindringliche gesellschaftsrelevante Aussage, die lokale kulturelle Traditionen wiederaufnimmt und auf einer globaleren Ebene fortführt.